Erfahrungsbericht #5 – berührte Rationalität

Katrin (56) – Verwaltungsangestellte aus Erfurt berichtet über ihre Erfahrung einer Tantramassage bei momoart. [Name geändert]

Ich hatte echt weiche Knie – obwohl ich der eher rationale Typ bin – und weil ich zu zeitig dran war, gab es noch einige Runden um den Block – aber eine Frau Mitte 50 ist eben auch mutig und kneift nicht – viel ist nicht mehr zu verlieren – und da ich vorher lang genug überlegt und gesucht und gedacht hatte, war es an der Zeit zu handeln – um die Lücke zu füllen – oder den Krater – mit dem was fehlt – an Berührung fehlt oder verloren ging oder verschüttet wurde oder nie stattfand – in einer Beziehung, die nun schon ein Vierteljahrhundert alt ist – und um den „Unrat“ zu beräumen, der sich so anhäuft in der zwischenmenschlichen körperlichen Interaktion, auch Sexualität genannt – Missverständnisse, Unverständnisse, Schweigen – ich fühlte mich unberührt und insofern irgendwie unvollständig. 

So kanns doch nicht ewig weitergehen – da muss doch was zu machen sein, sagte ich mir – denn schliesslich bin ich ja der rationale Typ – und nachdem also die Runden um den Block abgelaufen und der Klingelknopf mutig gedrückt war, wurde ich freundlich und zuvorkommend empfangen – schon durch die Farben des Herrn b. – orange und weiss trag ich eher selten – meine Farben sind schwarz und grau – ein frisches steingrau, wenn ich gut drauf bin. Der farbenfreundliche Herr b. erläuterte mir in einem kurzen Gespräch das Wesentliche – nicht zu lang, denn erkennbar aufgeregt war ich schon genug. 

Ich tauschte nun also meine graue Schutzhülle gegen ein grosses buntes Etwas – mit der Bindetechnik des Tuches kannte ich mich nicht aus, aber der Knoten im Nacken hielt so lang wie erforderlich.  So – da stehe ich nun auf dem grünen Untergrund, nur bekleidet mit dem fremden Tuch und ein bisschen hilflos ohne meine Brille und vermute, dass die kritischen Überlegungen zum perfekt haarlosen Zustand meiner Beine nun endgültig hinfällig sind und ergebe mich für die nächsten zweieinhalb Stunden meinem selbstgewählten Schicksal – und zweieinhalb Stunden lang halte ich auch die Augen geschlossen – eine intuitive Entscheidung und deswegen gut für mich. 

Ich habe mir das sehr schwer vorgestellt und nun ist es unerwartet leicht – nur empfangen ohne jemandem genügen, ohne jemanden zufriedenstellen zu müssen.

Das Nacktsein des Herrn b. sehe ich nicht, spüre es nur vage und es fühlt sich schön an – wie auch alles weitere sich sehr sehr schön anfühlt – wie es sich für den rationalen Typ gehört, habe ich natürlich vorher recherchiert, bin aber trotzdem überwältigt – überwältigt von der Tatsache, dass ich das tatsächlich kann – nämlich Berührungen nur empfangen ohne zu reagieren und reagieren zu müssen – ohne jemandem genügen zu müssen, ohne jemanden zufriedenstellen zu müssen – ich habe mir das sehr schwer vorgestellt und nun ist es unerwartet leicht – es ist alles erstaunlich leicht und schön – die schlichten Berührungen, wie innig kann doch ein Streicheln über die Haare sein, und die festen – ich lasse die lustvollen Gefühle zu und spüre diese an Stellen meines Körpers, von denen ich noch nicht mal wusste, dass da Stellen sind – und dass dies alles von einem gänzlich fremden Menschen zumal einem Mann verursacht wird, spielt keinerlei Rolle – dass Tränen kommen, erwarte ich – der Unrat eben, der an die Oberfläche kommt – und als diese dann reichlich fliessen, ist auch das leicht und in Ordnung.  

Als ich dann gegen Mittag den Rückweg antrat – diesmal ohne langen Umweg um den Block – in meinen grauschwarzen Mantel gehüllt, den mir der leider (Scherz!) wieder bekleidete Herr b. höflich gehalten hat – war ich benommen, bewegt und natürlich: sehr berührt – ich fühlte ich mich nicht mehr als Aussenstehende, sondern wieder zugehörig zur Welt der Berührten – klar, war ich noch der gleiche Mensch – das weiss ich natürlich als rationaler Typ – aber ich war ein bisschen offener und ein bisschen weicher und auch ein bisschen freier – und deshalb fiel das Gespräch mit der Verkäuferin am Backstand ein wenig herzlicher aus – und dem Rollstuhlfahrer an der Strassenbahnhaltestelle hab ich ohne zu zögern geholfen – ok, das hätte ich aber auch so getan – und als ich mich im Bahnhofsgeschäft bei den Wartenden in der Kassenschlange hinter mir überaus fröhlich für die Verzögerung entschuldigte, weil ich wie immer die passende Rabattkarte nicht fand, sah ich in verblüffte Gesichter. Ich bin nachhaltig gutgelaunt und fröhlich und munter und … und … und – und wenn ich der Meinung bin, dass die berührende Wirkung der Berührung nachlassen sollte, werde ich um eine Auffrischung ersuchen – dann aber mit sicherlich weniger weichen Knien.  

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